POP
V e r t o n t e s
T e s t o s t e r o n
Auf seinem neuen Album
thematisiert Lenny
Kravitz nur das Eine
Geht es um sein Privatleben bzw.
sein Image als Womanizer, fällt bei
dem
50
-jährigen New Yorker die be-
rühmte Klappe. Einfach, weil er als
Musiker wahrgenommen werden
will - nicht wegen seiner zahlrei-
chen Affären. Was ihn nicht daran
hindert, sich auf seinem zehnten
Studio-Epos dem Thema Liebe &
Lust zu widmen, und sehr explizit
zu werden. Etwa mit frivolen Texten
über Sadomasospielchen („The
Pleasure And The Pain“), sexuelle
Hörigkeit („The Chamber“), Per-
versionen („Dirty White Boots“)
und seinen favorisierten Frauen-
typ: „She's A Beast“. Worüber
der Mann mit der angewachsenen
Sonnenbrille herzhaft lachen muss.
„Wer träumt nicht von einer Frau,
die ihre erotischen Fantasien aus-
lebt? Außerdem stehe ich auf weiße
Sachen, die ein bisschen schmutzig
sind. Deshalb die Stiefel.“
Und woher rührt dieses geballte
Testosteron? „Keine Ahnung. Die
Songs sind mir einfach zugeflogen.
Deshalb habe ich mich auch nicht
damit aufgehalten, sie lange zu hin-
terfragen, sondern sie schlichtweg
festgehalten.“ Was
2013
während
der Dreharbeiten zum zweiten
Teil von „Die Tribute von Panem“
geschah, in dem Kravitz eine Ne-
benrolle belegt. „Ich habe jede freie
Minute in meinem Trailer gesessen
und geschrieben. Nachts, wenn wir
fertig waren, bin ich nach Hause
und habe sie ausgearbeitet. Was
bedeutet, dass ich wochenlang
kaum geschlafen habe. Aber das
Ergebnis ist es wert.“
Was auch den Titel „Strut“, also
„stolzieren“, erklärt. Ein Ausdruck
von Zufriedenheit, Selbstbewusst-
sein und Stilsicherheit. Schließlich
verpackt Kravitz seine Gelüste mit
einem
knackigen
Seventies-Re-
tro-Sound aus Rock, Soul, Disco und
Funk, der an Bowie, Chic, Lennon
oder Sly Stone erinnert, und an Le-
benslust, Power wie Sexappeal kaum
zu überbieten ist. „Es ist Musik, die
sich gut anfühlt, Spaß macht und in
unser aller DNA steckt. Ich fand es
toll, mich da auszutoben.“
Was er in den Gregory Town
Sound Studios auf den Bahamas
getan hat - unterstützt von Klang-
tüftler Bob Clearmountain (Sto-
nes, Springsteen). „Ich wollte das
Ganze so authentisch wie möglich
umsetzen. Also mit altem Equip-
ment, einer Analogproduktion und
einem Mixer, der die Helden meiner
Jugend betreut hat. Das ist eine
Traumkombination, und das hört
man auch.“
Marcel Anders
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^
Lenny Kravitz: „Strut"
(Kobalt/Rough Trade V.Ö. 19.9.)
Auch als LP erhältlich
Tiem o Hauer
CAMKLE
Green
Elephant/Soulfood 2
CDs
(87’)
Selbstbestimmung ist Tiemo Hau-
er schon länger sehr wichtig, seit
2011
gibt er seine Musik deswegen
auf seinem eigenen Label heraus.
Für das Sturm-und-Drang-Album
„Camille“ hat der Stuttgarter erst-
malig sogar alles selbst arrangiert
und produziert, zudem geht’s in ei-
nigen der kompositorisch ziemlich
simplen Songs darum, dass er sich
von keinem mehr reinreden lassen
will. Hauer möchte das Jungsein
ohne Einmischung in vollen Zügen
genießen („Ganz oder gar nicht“)
und so viel wie möglich vom Le-
ben mitnehmen, um später kein
Versäumnis bereuen zu müssen
(„Viel erlebt“). Da hat einer großen
Lebenshunger.
hake
MUSIK
KLANG ★ ★ ★
The H o w lin ’ Brothers
TROUBLE
Continental Rose CD
(auch
als LP erhältlich)
(35’)
Wem bei diesem Trio und der
gänzlich
hinterwäldlerischen
Musik - Appalachen Folk, Cajun,
uralter Country & Western, Country
Blues, Walzer - das Country-Instru-
mentalstück „Dueling Banjos“ aus
dem Film „Beim Sterben ist jeder
der Erste“ einfällt, der liegt richtig.
Unter Americana versteht das Trio
nicht Bluegrass-Monokultur. Außer
Waschbrett kamen bei diesen Ses-
sions alle möglichen „ländlichen“
Akustikinstrumente von Akkordeon
bis Mandoline in wohlklingender
Mischung zum Einsatz. Bestens
produziert ist alles von dem auch
am „Washtub Bass“ zu hörenden
Brendan Benson.
F
. Sch.
MUSIK '
KLANG ★ ★ ★
Die Sterne
FLUCHT IN DIE FLUCHT
Staatsakt/Rough Trade CD
(auch
als LP)
Den besten Song stellen Die Sterne
an den Anfang ihres zehnten Al-
bums: Im Polterrock-Opener „Wo
soll ich hingehen?“ stellen sie ge-
scheite Fragen zum Thema „Selbst-
findung“ und bleiben, ganz wie es
ihre Art ist, die Antworten schuldig.
Klasse ist außerdem die Mörder-
moritat „Ihr wollt mich töten“, die
Frank Spilker mit Alexander Hacke
von den Einstürzenden Neubauten
anstimmt. Ansonsten singen die
Stadtneurotiker weniger originell
vom Metropolenmoloch („Innen-
stadt Illusionen“) und den kleinen
Fluchten daraus (im Titelstück). All
das zu Allerweltsmelodien und dem
typischen Sound der Hamburger
Schule.
hake
MUSIK
KLANG ★ ★ ★
Das DR-Logo gibt den Dynamikumfang des Tonträgers an. Nähere Infos unter www.stereo.de
The New Pornographers
BRILL BRUISERS
Matador/Indigo CD
(auch
als LP
erhältlich)
(43’)
Alle sind sie solo oder in anderen
Gruppenverbänden
erfolgreich,
trotzdem sieht keiner von ihnen
einen Grund für Egotrips. In der
kanadischen Indie-Superkapelle
The New Pornographers ziehen
Neko Case, Den Bejar (Destroyer,
Swan Lake), A.C. Newman und
Kathryn Calder musikdienlich an
einem Strang. Aus dem Zusammen-
halt resultieren auf ihrem neuen
Kurzweil-Album spritzige Songs
für Autofahrten, unwiderstehliche
Mitsinghymnen und Satzgesänge
vom Feinsten. Hätte der Freundes-
kreis die schönen Tracks auch noch
transparent abgemischt, dann wäre
das eine wirklich prächtige Power-
pop-Platte geworden.
hake
MUSIK
KLANG ★ ★
★ ★ ★
STEREO 10/2014 137
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